Wirtschaft & Finanzen

31. Mai 2025

Steht das Finanzsystem vor dem Kollaps?


Wie man den Nachrichten entnehmen kann, befinden sich die Finanzmärkte gegenwärtig im Umbruch. Inflation, Zollpolitik, Schulden - langsam scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass es aus dieser “Multikrise” womöglich kein Entrinnen gibt. In diesem Artikel sollen zwei Vorgänge (die naturgemäss zusammenhängen) beleuchtet werden, die das Potential haben, das gesamte Finanzsystem zum Einsturz zu bringen:

  • Das Auflösen der sogenannten Carry Trades
  • Das US-Handelsbilanzdefizit und das Handeln der Trump-Administration
  1. Carry Trades

Was hat es damit auf sich? Seit den 50er/60er, mit einem ordentlichen Schub in den 70er Jahren, haben die USA weltweit Lobbyarbeit betrieben, dass möglichst viele Länder den US-Dollar (USD) als Verrechnungseinheit für Güter und Dienstleistungen zu verwenden (—> Reserverwährung , das wäre nochmal einen eigenen Artikel wert). Das bekannteste Beispiel dürfte wohl der “Petrodollar” sein, also dass Öl an den Märkten in USD abgerechnet wird: wer Öl kaufen möchte, muss zunächst USD kaufen um dann an den Märkten handeln zu können. Ein anderes Beispiel ist das “Eurodollarsystem”, d.h. dass Europa als eigener Währungsraum Schuldtitel in USD emittiert. All dies führt dazu, dass es eine ständige Nachfrage nach USD gibt, der den Wert des Dollars gegenüber anderen Währungen ansteigen lässt.

Nun ist es aber so: Wenn eine Nation eine starke Währung hat, ist es für sie natürlich wesentlich schwerer, Industriegüter zu produzieren und weltweit zu verkaufen. Die Folge war, dass viele Industrien und Dienstleistungen von den USA ins Ausland (China, Indien, Philippinen etc.) ausgelagert wurden. Mittels dieses Outsourcings gelangten die Dollars ins Ausland um dann von dort wiederum in USD denominierte Produkte reinvestiert werden. Beispielsweise in amerikanische Aktien oder US-Anleihen (sog. “Treasuries”). Nun geschah das nicht auf altruistische Art und Weise: auf diese Art konnte man ein relativ freien, deregulierten Waren- und Dienstleistungshandel sicherstellen (den bei Bedarf man kontrollieren kann, das wäre ebenfalls einen eigenen Artikel wert. Die Anzahl der finanziellen Sanktionen sind von 2 in 1950 auf 60 in 2025 -->hochgeschnellt ).

Auf den ersten Blick ist es eine Win-Win Situation: die anderen Staaten investieren in “den” USD (in dem Sinne wie oben erläutert - Treasuries, Aktien und Indices), lassen damit die Aktienmärkte und den Dollar ansteigen. Man konnte sich also in einem Niedrigzinswährung wie dem Yen in Yen verschulden, dies in USD umtauschen, im dortigen Währungsraum die Rendite erwirtschaften und dann wieder umtauschen und die Schulden in der eigenen, abgewerteten Währung zurückzahlen. Das ist ein sogenannter (positiver) Carry Trade. Ein japanischer Banker konnte also sich in der eigenen Währung verschulden, und dann zum Beispiel in den S&P500 investieren. Selbst wenn der S&P500 Index lediglich um den Einstiegswert herum schwankt und kaum oder wenig nach unten ausschlägt, konnte ja immer noch den Anstieg des Dollars gegenüber der Eigenwährung positiv verbucht werden.

Wie stellt sich die Situation heute dar?

Vergleich der Renditen einer zweijährigen US- und einer zweijährigen schweizerischen Anleihe.


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Wie man sieht steigen die Renditen: Das liegt daran, dass die Marktteilnehmer US-Anleihen verkaufen, dies drückt die Preise, d.h. die Renditen steigen (Bondpreise und Renditen verhalten sich invers zueinander). Die Dollar werden zurückgetauscht und in die lokalen Anleihen investiert (Preise steigen —> Renditen sinken). Die Rendite-Linie beim USD steigt, die des CHF sinkt. Die selbe Dynamik lässt sich auch gegenüber EUR, JPY oder CAD beobachten: Nach dem sogenannten “Liberation Day”, divergieren die Anleiherenditen zwischen USD Anleihen und der jeweiligen anderen Waehrung.

Nun sei konkret auf das Beispiel Japans geschaut: Japan hatte seit langer Zeit eher deflationäre denn inflationäre Tendenzen. Um das Wirtschaftswachstum und die Inflation anzukurbeln, wurde das —>Quantitative Easing (z.B. niedrige Zinsen/die Bank of Japan (BoJ) kaufte viele Schulden auf) soweit ausgereizt, wie es irgendwie möglich war - allein es half alles nichts. Die Inflation blieb fern und das Wirtschaftswachstum war null oder negativ. Mangels Rendite wurde auf obigen Mechanismus der Carry Trades zurückgegriffen. Solange die Zinsen niedrig und der Yen schwach waren (und die Schulden allem im Inland gehalten wurden), war dies überschaubar und eine Lizenz zum Gelddrucken.

Verschuldung Japans: Um die Schuldensituation Japans zu verstehen, muss man verstehen, dass Japan ein Problem mit Überalterung hat. Es ist, im Durchschnitt, das Land mit den ältesten Menschen der Welt. Wenn wenig Nachwuchs nachkommt, müssen immer weniger Menschen die Kosten stemmen. Um dies leisten zu können, hat das Land eine gigantische Verschuldung aufgebaut. Das sogenannte Debt-to-GDP Ratio ist mit 260%+ das höchste der Welt. Als die Bank of Japan dann letztes Jahr zum ersten Mal die Zinsen erhöhte, führte das zur Aufwertung des Yen, andere Indizes brachen ein und die BoJ deutete weitere Zinssteigerungen an. Die 30Y und 40Y Renditen der JPY-Anleihen liegen heute bei 3% bzw. 3.6%. Das mag sich wenig anhören, aber für Japan sind das unerhörte Werte. Dies sollten die sichersten Anleihen der Welt sein und nun wollen Investoren höhere Zinsen, nur um diese Anleihen zu halten. Bislang konnte die BoJ diese Schulden immer aufkaufen und die Zinsen niedrig halten, deutet aber an, sich von nun zurückzuziehen. Resultat: Die Inflation seit 2022 ist wesentlich höher, als man sie eigentlich haben wollte.


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Die Märkte testen nun, wie viel die Anleihen ohne Staatsintervention wert sind. Die kürzlich zurückliegenden Anleiheauktionen im April waren jedenfalls eher mäßig erfolgreich. Und hier beisst sich die Katze in den Schwanz: um die Anleihen loszuwerden, erhöht man eigentlich die Zinsen, tut man das, bricht man die obigen Carry Trades…..
Was kann Japan nun tun:

  1. Zinsen ansteigen lassen: würde den Haushalt ruinieren. Wenn die Zinsen 1% steigen, steigen die Zinszahlungen um 85 Mrd USD pro Jahr an. Weiterhin bedeutet es einen Werteverlust für die Bondhalter. Steigt bei einem 40Y Bond der Zins von 1% auf 4%, dann verliert der Anleihenhalter 69%(!) an Wert!

  2. Zinsen niedrig halten: Das würde den Yen ruinieren und Importe enorm verteuern. Darüberhinaus besitzt die Bank of Japan bereits 52% aller Anleihen.

Einen (finanziellen) Tod muss man also sterben. Japan ist deswegen relevant, weil sie mit Abstand die grössten Gläubiger der USA sind. Wenn Japan in keine US-Anleihen mehr investiert oder gar Anleihen verkauft, dann wird das zu höheren Zinsen in den USA führen, auch ohne dass man eine zu hohe Inflation bekämpfen muss, sondern nur um neue Käufer anzulocken. China verfolgt diese Strategie seit -->Längerem Der Anteil anderer Länder an US-Schulden von 42% 2019 auf 30% -->Ende 2024 gefallen.

  1. Die Situtation der USA

Japan ist nun nicht das einzige Land, das eine steigende Verschuldung hat (lediglich bei in der Höhe liegen sie an der Spitze, mit weitem Abstand vor Griechenland), denn seit 1973 ist die OECD Länderverschuldung von 40% auf 110% hochgeschnellt.


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Und die USA sind keine Ausnahme (120%). Die Verschuldung ist mittlerweile auf einem Niveau, dass 1 Billion USD Zinsen pro Jahr fällig werden, mehr, als für Verteidigung ausgegeben wird. Gleichzeitig steigen die Zinsen aufgrund der oben beschriebenen Flucht der Kreditoren aus dem USD an und der Wert des Dollar sinkt. Diese Szenario ist wesentlich ernster als 2008, wie auch Adam Tooze (ein Finanzhistoriker) -->schreibt:. Ein Teufelskreis: Hoehere Anleiherenditen —> höhere Zinszahlungen —> höhere Staatsverschuldung.

2030 könnten Zinszahlungen knapp ein Viertel aller Steuereinnahmen auffressen, wie Bloomberg prognostiziert. Was können die USA jetzt tun?

  1. Hoehere Steuern
  2. Weniger ausgeben
  3. Quantitative Easing (s.o.)

Nun steigen aber die Zinsen in einem ökonomischem Abschwung, u d wie man seit Griechenland und Italien weiss, ist das eine sehr ungünstige Situation. Ökonomen nennen dies Stagflation (ein Kofferwort für Stagnation und Inflation). Einem Bericht von Goldman Sachs zufolge wären die positiven Wachstumseffekte eines Fiskalpakets geringer und würden sich später zeigen als die negativen Effekte von Zöllen. Zwar könnten die im Fiskalpaket enthaltenen Steuersenkungen das Wachstum in den Jahren 2026 und 2027 ankurbeln, doch würden die negativen Auswirkungen der Zölle auf das Wirtschaftswachstum diese Vorteile -->überwiegen.

Warum ist dies aber heute Thema, wahrend in den Siebzigern wesentlich höhere Zinsen üblich waren?

  1. Damals war die Inflation wesentlich höher und somit waren die Zinsen eine Reaktion darauf und nicht aufgrund eines gestiegenen Kreditrisikos.
  2. Debt to GDP Ratio war wesentlich niedriger.

Koennten Zinsen von der Zentralbank einfach gesenkt werden? Könnte man, aber das würde die Inflation wieder anfachen….

Letztlich dämmert es, dass die USA Kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Das kann man daran erkennen, dass Trump einem Arbeitspapier folgt, dass -->“Mar-a-Lago Accord” genannt wird. Geschrieben vom ökonomischen Berater Stephen Miran. Dort stehen die folgenden Strategien, um das Handelsbilanzdefizit der USA zu kurieren:

  1. Der USD ist, anders als andere Währungen nicht aufgrund der wirtschaftlichen Stärke gehandelt, sondern eben als Reservewährung. Andernfalls wäre er natürlich nicht mehr so stark, da die Industrie in den USA ja mehr oder weniger scheintot ist.

  2. Glaeubiger wie die EU, Asien etc sollen eine Umstrukturierung bestehender Anleihen akzeptieren. Teilweise für viel niedrigere Zinssätze oder gar perpetual Bonds (also die das nominal nie zuerueckzahlen) oder gleich direkt die Schulden abschreiben

  3. Zoelle auf Importwaren (das ist das, was dauernd durch die Presse geistert.)

All diese Dinge kennt man nur aus 2. oder 3. Weltländern, die ihre schwache Wirtschaft gegen aussen abschirmen müssen oder von Staaten, die vor dem Bankrott stehen. Die Auswirkungen dieser Massnahmen werden vom Grossteil der Ökonomen und Finanzmathematiker eher negativ beurteilt.

Und so langsam setzt sich weltweit die Erkenntnis durch, dass die Länder weder ihren Weg aus dieser verfahrenen Situation über erhöhte Steuern oder erhöhtes Wirtschaftswachstum oder auch erhöhte Inflation finden werden. Was bleibt, sind erste Vorzeichen wie das Rating-Downgrade der letzten verbliebenen Ratingagentur, die den USA das AAA-Rating entzogen haben, ein steigender Bitcoin (oder ähnliche Werte), die als fernab der Zentralbanken interpretiert werden und somit eine Art Last Line of Defense Hedge bilden. Sollte der Billionen-Dollar-Default eintreten, wird die Krise 2008 wie ein Kindergeburtstag wirken.


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